„Wie toll, dass du die Semmeln selber holst!“

Mit Grußworten von Cornelia von Pappenheim und Bürgermeisterin Verena Dietl begann eine gut besuchte Veranstaltung zum Thema Ableismus. Ableismus – braucht es schon wieder ein neues Wort? „Ja“, sagt Luisa L’Audace, Aktivistin, Beraterin und Autorin für Inklusion. „Der Begriff kann einen entscheidenden Einfluss auf Menschen mit Behinderung haben. Menschen, die diskriminiert werden, müssen lernen, dass sie diskriminiert werden. Ich bin über 20 Jahre durch diese Welt gegangen, bis ich verstanden habe, dass das Diskriminierung ist.“ Was bedeutet der Begriff? Das Wort kommt von to be able, fähig sein.

Luisa L’Audace: „Laufen, Sprechen, Hören usw. ist sehr wichtig. Wer nur zum Teil oder nicht darüber verfügt, gilt als weniger wert, unvollständig und kaputt. Ableismus hängt den Wert eines Menschen an seine Leistung. Dabei geht es nicht nur um tatsächliche Fähigkeiten, sondern viel um Stigmatisierung, um das Vorverurteilen von Menschen.“

Junge Frau mit Notebook an einem Tisch. Daneben Schrift: Luisa L'Audace.
Luisa L’Audace. Foto: Kuhn

Es geht um Denkmuster und Strukturen dahinter. Es geht um strukturelle Diskriminierung, nicht um Einzelfälle. Es geht um ein System, in dem nichtbehinderte Menschen bewusst oder unbewusst profitieren, während behinderte Menschen benachteiligt werden. „Wir werden täglich mit Ableismus konfrontiert und so kann es passieren, dass wir den Ableismus verinnerlichen“, erläutert Luisa L‘Audace. „Es kann dann passieren, dass wir uns für unsere Behinderung schämen. Wir haben Angst, als zu sensibel wahrgenommen zu werden. Wir versuchen, in eine der Schubladen zu passen, in die uns die Gesellschaft versucht zu drücken.“

Und was hat das mit Semmeln zu tun? L’Audace: „Wenn ich mit dem Bus fahre oder einkaufe, dann passiert oft, dass jemand entzückt ruft: Das finde ich toll, dass Sie das trotzdem noch machen! Das „trotzdem“ ist ganz entscheidend. Was denkt diese Person? Behinderten Menschen wird nichts zugetraut. Die Fähigkeiten, die wir haben, werden uns abgesprochen.“

Gegen Ableismus sollten sich nicht nur behinderte Menschen wehren. „Aufklärungsarbeit über ein Thema, was uns selbst negativ triff, ist unfassbar schwierige Arbeit. Sie sollte unterstützt werden. Nicht behinderten Menschen wird in diesem System mehr zugehört. Sie sollten das Privileg nutzen, um die Stimmen lauter zu machen, ohne zu übertönen.“

In der anschließenden Runde unter der Moderation von Zuhal Mössinger-Soyhan berichten vier Menschen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen über Vorbehalte und Diskriminierungen, die sie selbst erfahren haben. Andy Brux fordert mehr Respekt für die Leistungen von Menschen mit Behinderungen, zum Beispiel in der Werkstatt. „Ableismus wird so erzeugt, dass alles immer schneller wird und wir nicht die Hilfe bekommen mitzuhalten“. Dominique de Marné hört immer wieder, es sei so mutig, dass sie über ihre Depressionen spreche und so toll, dass sie über ihre Alkoholsucht spreche.
Sie frage dann zurück: „Ist es mutig, wenn Sie über Zahnschmerzen sprechen?“ Dann müssten die Leute lachen. „Ich habe halt die Krankheitsseite kennengelernt. Es ist wichtig, dass wir offen darüber
sprechen.“

Fünf sitzende Personen, links eine stehende Person
von vorn: Oswald Utz, Martin Fromme, Moderatorin Zuhal Mössinger-Soyhan, Andy Brux, Dominique de Marné und die Gebärdensprachdolmetscherin. Foto: Kuhn

Oswald Utz berichtet aus seiner Beratung: „Ich kann mich an so viele Situationen erinnern, wie gebrochen und geknickt die Menschen mit Behinderungen und deren Angehörige waren. Viele haben es mit der Muttermilch aufgesogen, wie dankbar sie doch eigentlich sein müssten, und können schwer für ihre Anliegen einstehen.“ Das sei extrem verwurzelt in den Menschen.

Danach brachte Comedian Martin Fromme das Publikum mit seinem Programm über Behinderungen zum Lachen. Und zum Abschluss gab es dann endlich Semmeln.